Das Bundesfernstraßengesetz sagt, sie sei eine Einrichtung für den schnellen Verkehr. Nach Auskunft zahlreicher Nutzer ist sie ein Schleichweg mit Durchschnittsgeschwindigkeiten unter 60 Kilometer pro Stunde. Aus Sicht der Anlieger und Nachbarn ist sie wahlweise ein lästiger Lärm-Emittent, ein perfektes Werbedisplay, ein effektiver Wirtschaftsstandort oder ein Treffpunkt für Verliebte. Die Auseinandersetzungen über dieses Stück betonierter Urbanität sind zahlreich. Vom Ruhrlandmuseum in der Ausstellung „Transit B1“ als europäische Zivilisationsstraße untersucht, von der Künstlergruppe „B1“ und von den Stadt- und Raumplanern der Region als Boulevard deklariert, von den Verkehrsingenieuren mit Flüsterasphalt versehen und den Fahrradfahrern als Sehnsuchtsort erkannt. In allen Bearbeitungen ist deutlich geworden: Die B1|A40 ist mehr als ein von Technikern installiertes und überwachtes nützliches Stück Infrastruktur. Sie ist mehr als ein Beitrag zum Zentralitätsindex. Diese Straße hat eine eigene Dynamik und eigene Regeln, sie hat ihre eigenen Räume und Erzählungen hervorgebracht, denn sie ist – ganz entgegen anderer Autobahnen – eben auch unmittelbarer Nachbar und damit Lebensraum für Menschen. Das hier dokumentierte Projekt stellt sich dem Anspruch, an diese Heterogenität mit den Rechercheinstrumenten, Strategien und Aushandlungsweisen der Kunst anzuknüpfen. Es hat sich mit der Autobahn und den Menschen an der Autobahn so beschäftigt, dass etwas bisher wenig Wahrgenommenes sichtbar wurde: die Räume und vor allem Nutzungen, die aus ihr selbst heraus entstanden sind und sie mal symbiotisch, mal parasitär begleiten. Diese Sichtweise auf das „Autoproduktive“ einer Infrastruktur ist für Stadtund Verkehrsplaner neu. Eine Autobahn als eigenes Subjekt zu deklarieren, bedeutet schließlich auch, sie als unbeherrschbare Größe zu akzeptieren und ihr eine eigene Dynamik zuzusprechen. Die deduktive Logik, die Planer gegenüber Infrastrukturen einnehmen, lässt sich auf dieser Grundlage nicht mehr durchhalten. Auf dem Weg zur Realisierung des Projektes gab es einige Auseinandersetzungen zu führen, die – wohlwollend betrachtet – der Größe der Aufgabe entsprachen. Denn die Autobahn ist ein aufgeladener Ort. Die Investitionen in ihren Ausbau, in den Lärmschutz, in die neuen Anschlüsse und in die Unterhaltung sind immens. Das Interesse der Anrainerstädte, die wertvollen wie problematischen Flächen entlang ihrer Ränder zu gestalten, ist groß. Die Bewohner des Ruhrgebiets beobachten und debattieren Veränderungen an ihrer Autobahn intensiv und lautstark. Entscheidungen, die die Autobahn verändern, werden entweder von kapitalen Institutionen gefällt oder in langwierigen Aushandlungsprozessen vorbereitet. Die Auseinandersetzung von Künstlern mit dem Subjekt Autobahn weckt da auf den ersten Blick die Vermutung, dekorativ zu sein. Und doch eröffnen die Kunst und die hier arbeitenden Künstler eine neue Sichtweise, die auch für die „Mächtigen der Straße“ relevant werden könnte, wenn diese ihr unvoreingenommen Gehör schenken. Sie erarbeiten einen nichtmodernen Zugang zu dieser modernsten aller Infrastrukturen, indem sie sich ihr nicht linear in „Wenn-dann-Gedankengerüsten“, sondern iterativ und dynamisch in Erzählungen, Kooperationen, Gestaltungen und Metaphern nähern. Sie recherchieren einzelne Kapillaren und Hintergründe des Raums bis in eine Tiefe, die sonst selten hergestellt wird. Damit eröffnen einige der Projekte den Gedankenraum für eine komplexe und nicht hierarchische, für eine unheroische Auseinandersetzung mit der Sache. Ob daraus unmittelbarer Gewinn oder unmittelbare Entscheidungen für weitere Investitionen abzuleiten sind, bleibt im Nachgang des Projektes ernsthaft zu diskutieren, gerade wenn Kunst Erkenntnisse generiert, die einem abwägenden Blick verwehrt bleiben. Diese Interdisziplinarität, die in dem Projekt angelegt war, stellte eine echte Herausforderung dar. Beide Bereiche arbeiten, denken und handeln nach komplett unterschiedlichen Logiken. Architekten und Gestalter von Lärmschutzwänden müssen die Machbarkeit, die finanzielle und technische Tragfähigkeit ihrer Planungen von Anfang an argumentieren. Es steht zu viel Geld und vor allem die Sicherheit auf dem Spiel, um mit gänzlich offenen Vorstellungen in die Produktion zu gehen. Dieser sachlichen Klarheit stand zu Anfang des Projektes zum einen die radikale Offenheit und zum anderen die nicht ganz unberechtigte Sensibilität der Künste angesichts drohender Instrumentalisierung gegenüber. So lange diese beiden Pole nicht in die offene Auseinandersetzung gingen und ihre Produktions- und Denkweisen hinterfragten, entstand keine Interdisziplinarität, sondern eine gelähmte und mithin etwas lahme Debatte. Das Projekt hat aber den Dreh gefunden, sich aus dieser Falle zu befreien, als die künstlerischen Projekte fassbar und für alle Partner vorstellbar wurden. Der Eintritt in die Phase der Projektentwicklung vor Ort, im direkten Kontext des Stadtraums war der markante Wendepunkt. Die Bilder vom Kreuz Kaiserberg und seinen besonderen Anrainern, die Entdeckung, dass Fisch und Honig A40-Produkte sein können und die teilweise prekäre und trotzdem auch produktive Lebenssituation der Menschen an der Autobahn haben dem Projekt ein konkretes Fundament gegeben. Schnell werden diese „Entdeckungen“ angesichts der immensen Kraft, die die Autobahn hat, als romantisch und sogar auch verniedlichend abgetan. Der neu gerichtete, ernsthafte Blick der Künstler auf diese jeweils spezifischen Situationen hat aber – in den einzelnen Projekten und in der Gesamtschau – Hinweise auf die teilweise abstrakten Mechanismen standardisierter Entscheidungswege gegeben.Öffentliche Organisationen und Kunstproduktion können gerade bei Vorhaben außerhalb des Museums nur schwer ergebnisoffen zusammenarbeiten. Die Carte Blanche, die der Museumsdirektor dem Künstler im White Cube für begrenzte Zeit erteilen kann, ist entlang der Autobahn eine Unbekannte. Es bedarf ganz eigener Formen der Kooperationen und Absprachen. Die Kunst muss sich ein eigenes Arsenal an Argumenten und Fürsprechern organisieren. Die Stadt- und Verkehrsplaner brauchen Zeit und vor allem Offenheit gegenüber Kunst, die in ihren Bereich vordringt und nicht im üblichen Sinne verwertbar erscheint. Und beide gemeinsam brauchen vor allem Respekt voreinander und eine Kultur, die sich von Unterstellungen distanziert und so offene Dispute aushalten kann. Dieses Spannungsfeld verlangt allen Partnern ein gut gefestigtes Selbstbewusstsein und wechselseitiges Vertrauen ab, das dazu befähigt, Änderungen im Projekt und sogar in den Zielsetzungen immer wieder zuzulassen. Das Projekt konnte entstehen, weil die Ruhrgebietsgemeinde eine große Offenheit gegenüber dem Neuen bewiesen hat. Grundsätzlich erfunden wurde es am runden Tisch des Bochumer Stadtbaurates und bereits in den ersten Werkstätten zur Kulturhauptstadt mit Ideen anderer angereichert, die den Projektmachern freigiebig zur Verfügung gestellt wurden. Die Menschen an den Projektstandorten haben großenteils mit vorbehaltloser Neugier auf das Fremde und teilweise Unverständliche reagiert. Für diese unkomplizierte Art, die Sache zu befördern, ist das Ruhrgebiet bekannt und dafür gilt ihm noch einmal ein herzlicher Dank! Vielleicht liegt in dieser Offenheit der Professionellen und der Bewohner vor Ort etwas, von dem gerade interdisziplinäre Projekte lernen können. Denn wenn jemand aus der ureigenen Geschichte heraus daran gewöhnt sein muss, sich in einer steten Anpassung an die wechselnden Umstände mit seinem Kontext zu arrangieren und darin zu agieren, dann die Bewohner und Pioniere des Stadtraums A40. Markus Ambach und die Künstler haben auf dieser Basis Projekte entwickelt, die ihren eigenen Beitrag dazu leisten, dass die B1|A40 als urbaner Bestandteil des Ruhrgebiets weiterentwickelt werden kann. Sie haben sich auf Anregung des Ruhrgebiets einen Raum jenseits von Emscher Landschaftspark und Ruhrtal weiter gedacht, der in der kommenden Entwicklungsdekade der Ruhrgebietsveränderung sicher eine zentrale Rolle spielen wird. Es bleibt der Region zu wünschen, dass sie sich bei dieser Entwicklung weiter an den Projekten und Ideen der Künste reibt.