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Zur Ästhetik der Agglomeration
Susanne Hauser

Eine Ästhetik der Agglomeration handelt nur am Rande von der Schönheit oder Hässlichkeit irgendwelcher Städte oder Landschaften. Es geht vielmehr um die Tatsache, dass die heutigen Agglomerationen mit all ihren Teilen, die posturban spaces, edge cities, technoburbs, generic cities, die città diffusa, oder die urbanisierten Landschaften lange Zeit überhaupt nicht als eigene Strukturen wahrgenommen wurden und dass sie sich dann, nach ihrer theoretischen Entdeckung, als ausgesprochen banale Räume erwiesen, die der Wahrnehmung allerdings sehr spezielle Bedingungen bieten. Und davon handelt die Ästhetik der Agglomeration. Die (große) Bedeutung und große Wirksamkeit der heutigen urbanisierten Landschaften erschöpft sich weitgehend in spezialisierter und alltäglich bewährter Erfüllung definierter Funktionen – ästhetisch oder sinnlich oder in ihrer Bedeutung goutierbare Überschüsse sind rar. Eine der Thesen des Buches von Thomas Sieverts über die Zwischenstadt, das in Deutschland die Entdeckung dieser Gebiete durch die Stadtplanung und die Architektur eingeleitet hat, war, dass diese Gebiete einer gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung entgehen: Er sprach von ihrer „AnÄsthetik“, was ein weites Feld der Assoziationen, zuerst wohl den Bezug zur Betäubung, dann zur Anästhesie herstellt. Die spezielle Unsichtbarkeit und Bedeutungsarmut der Zwischenstadt ist auch heute, lange nach ihrer theoretischen Beschreibung nicht erledigt oder anders gesagt: Auch die in den letzten Jahren in theoretischen Anstrengungen vielfältiger Art entwickelten Verfahren ihrer Betrachtung haben sie nicht ansehnlicher oder charakteristischer gemacht. Doch immerhin ist mittlerweile völlig klar, dass die urbanen Gebiete, die sich weder klassischen Bildern der Stadt noch traditionellen Bildern der Landschaft fügen, nicht merkwürdige Abweichungen von alten und einfach wiederherzustellenden Mustern der Stadt oder der Landschaft sind, sondern dass es sich hier um eine umfassende Art räumlicher Entwicklung handelt, die nun seit ca. 15 Jahren in das professionelle Bewusstsein der Planung und der Architektur eindringt. Die These, dass Zwischenstädte „anästhetische Wüsten“ sind, war also einer der Ausgangspunkte der Befassung mit der Ästhetik der Agglomeration. Nimmt man einmal an, wie ich es getan habe, dass diese These sinnvoll ist, dann ist einer der ersten Schritte zur Analyse der ästhetischen Qualitäten der Zwischenstadt, die Struktur der räumlichen Anordnungen im Hinblick darauf zu untersuchen, welche Bedingungen sie für ihre mögliche Sichtbarkeit und ihre mögliche Erfahrbarkeit durch andere Sinne bieten. Ich möchte Thesen dazu unter fünf Gesichtspunkten entwickeln. Der erste heißt „Anästhesie und Erfahrung“, der zweite „Ziel und Zwischenraum“, der dritte Aspekt ist der der „Platzierungen“, der vierte ist überschrieben mit „Signale und Orientierungen“ und der fünfte spricht eine Konsequenz heutiger Raumentwicklung an, indem er „die Privatisierung des Blicks“ behandelt. Am Ende meines Vortrags komme ich zu einigen Schlussfolgerungen und hoffe, dass weitere in der Diskussion entstehen. ANÄSTHESIE UND ERFAHRUNG Heutige urbane Landschaften wie die entlang des mittleren Rheins, zwischen Basel und Zürich, um Mailand, das Ruhrgebiet oder die Randstad in den Niederlanden erstrecken sich weiträumig. Man durchfährt sie und bemerkt, dass sich die Besetzung mit Bauten, Infrastrukturen und Informationen verdünnt oder verdichtet. Möglicherweise fallen ein alter Kern oder ein neues Geschäftszentrum auf. Die Besetzung des Landes mit Bauten, Infrastrukturen und Informationen nimmt ab und zu, ohne dass sich sagen ließe, wo ein Eintreten in diesen Raum oder aber ein Herausfahren aus ihm und damit sein Ende erreicht ist. André Dekker hat 2002 eine sehr treffende Beschreibung der üblichen Erfahrung dieser urbanisierten Landschaft gegeben: „Die Orte, von denen die Leute sich abhängig machen, sind verbunden durch ein System des Nicht-Verbundenseins. Die Zwischenräume, die sie durchqueren, sind weder sicht- noch spürbar. Der Autofahrer hat keine Wahrnehmung für Orte, das Zeitempfinden reduziert sich auf das Gefühl der Entfernung. Im Auto zu sein, besonders in einem geräuschlosen, starken und bequemen Auto, verleiht das Gefühl des Losgelöstseins. Es ist wie im Nirgendwo. Es ist wie Fliegen, ein Entkommen von der Schwerkraft. Andere Leute nennen das Spaß.“Die Landschaften neuen Typs sind, in einem genauen Sinne des Wortes, erfahrbar über ein Netz von Verkehrsinfrastrukturen, die eine Bewegungsform privilegieren: die des Fahrens mit dem Auto. Diese Bewegungsformen und Geschwindigkeiten definieren den Raum und damit auch die Erfahrung der Wege wie der Räume: Sie werden konstituiert durch die fahrende Bewegung, die sie erschließt. Sie führen, wenn wir dem Zitat aus einem Interview mit André Dekker folgen, nicht zur Erfahrung der Plätze und Orte am Rand der erfahrenen Straßen, sondern zur Erfahrung des Fahrens. Ohne die Automobilisierung sind die heutigen Agglomerationen nicht zu verstehen. Das Auto ist die Bedingung für ihre Existenz. Damit verbindet sich übrigens nicht nur ein ökologisches und/oder städtebauliches Übel: Die Erfahrung der Befreiung, die mit dem individuellen Fahren über große Strecken verbunden ist, ist kaum zu überschätzen: „Die Möglichkeit, große Entfernungen zurücklegen zu können, gehört zu den wichtigsten Errungenschaften unserer Zeit. Vor allem Bewohner von polyzentrischen Agglomerationen sind dauernd unterwegs. Ein zunehmender Teil der Mobilität wird dabei nicht mehr von rein geschäftlichem Verkehr verursacht, sondern kann direkt oder indirekt als touristisch qualifiziert werden. Das Auto spielt dabei als höchstes Symbol der Emanzipation die Hauptrolle.“3 Die automobilen Zonen erzeugen einen kollektiven Raum und eine Form der Öffentlichkeit, die nicht kommuniziert, sondern individuell schweifend oder aber zielgerichtet fährt – mit großen Ansprüchen an die Reibungslosigkeit des Untergrundes, ohne auffallend kommunizierte oder explizierte Ansprüche an die Umgebung der Straße: Der Weg ist nicht das Ziel, und seine Wahrnehmung oder die der durchfahrenen Außenwelt ist es erst recht nicht. ZIEL UND ZWISCHENRAUM Nicht nur in ihren Funktionen, sondern auch in der Wahrnehmung und Erfahrung im zwischenstädtischen Raum spielen Infrastrukturen, Materialflüsse, Transportnetzwerke eine überragende Rolle: Denn der Raum wird in und auf ihnen, über sie erfahren und konstituiert als Raum aus überlagerten Netzen. In diesen Netzen fungieren einzelne Orte als anziehende und konzentrierte Knotenpunkte, als Ziele, die die Bewegung zum vorläufigen Stillstand bringen. Diese Ziele sind genau definiert, erfüllen eine Funktion und weisen normalerweise keine Redundanzen auf. Sie erfüllen Erwartungen, die bereits bekannt sind, auf eine gewohnte Art und Weise. Sie überraschen allenfalls mit einer „Überraschung“. IKEA-Filialen, prototypische Erhebungen in urbanisierten Landschaften, mögen hier als leicht nachvollziehbares Beispiel dieser großen Verlässlichkeit und Definiertheit dienen. Jedes der möglichen Ziele in der urbanisierten Landschaft scheint sich gegen die anderen möglichen Ziele zu sperren und einzeln zu liegen. Straßen, manchmal Schienen, definieren die Bewegungsmöglichkeiten von einem dieser Ziele zu einem anderen, von einem Funktionsund Aktivitätsort zum nächsten, von der Wohnung zum Arbeitsplatz zum Einkauf zu Freizeitanlagen. Die spezialisierten möglichen Ziele des Erfahrens sind mit anderen, ähnlich spezialisierten Orten verbunden und gleichzeitig auch getrennt von ihnen durch Verkehrs- und andere Infrastrukturnetze. Auch diese Wege sind genau definiert und haben ihrerseits definierende Funktion, einer der Gründe, an der Liberalität der Netzmetapher zu zweifeln: Denn alles, was Netze nicht definieren, schließen sie aus. Sie erzeugen Abfall. Lars Lerup hat dieses Phänomen Mitte der 1990er Jahre schon ebenso ironisch wie treffsicher in Bezug auf den US-amerikanischen sprawl beschrieben als eine Ansammlung, in der sich „stims“ und „dross“ unterscheiden lassen: „dross“ heißt alles, was übrig bleibt, wenn man die geschützten Räume mit Energieversorgung und Klimaanlage und die beweglichen Raumkapseln, sprich Autos, in denen man sie erreicht, abzieht: Diese geschützten Räume sind, beweglich oder nicht, „stims“, stimulierende Orte. Viele der „stims“ sind in den letzten Jahrzehnten zu enormer Größe herangewachsen: Flughäfen, Containerterminals und Industrieareale verbinden Großmaßstäblichkeit und Funktionstrennung und bestimmen ihr Umfeld entscheidend, ohne es zu berücksichtigen: Diese Bezugslosigkeit halte ich überhaupt für ein Charakteristikum urbanisierter Landschaften. Anlagen für Produktion, Handel und Verteilung sind in den letzten Jahrzehnten sichtbar größer geworden und neue Wohnsiedlungen bilden Gebiete erheblichen Ausmaßes. Die Befahrung der Wege – ihre Begehung kommt aufgrund der Entfernungen kaum infrage – führt durch Zwischenräume, die als eigene Wahrnehmungsgegenstände nicht in Betracht kommen, sei es, weil sie von Lärmschutzwänden gebildet werden, weil sie zu heterogen sind, weil sie an Plätzen vorbeiführen, denen keine interessierte Wahrnehmung gilt. Manche dieser Plätze können von Wegen und Straßen aus unauffindbar sein, sie können völlig vergessen werden, wenn keine Wege zu ihnen führen. Der Zwischenraum ist unsichtbar. PLATZIERUNGEN Einer der Schlüssel zur Lesbarkeit der konkreten Platzierung von Zielen und Funktionen ist ihre Lage in Bezug auf Zeit und Bewegung, nicht aber in Bezug auf einen bestimmten anderen Ort. Die Erreichbarkeit einer Funktion aus der Umgebung in einer in dieser Umgebung tolerierten Zeit entscheidet wesentlich (mit) über die Stelle, an der sie platziert wird – einer der Gründe für die Nebeneinanderordnung ansonsten unverbundener Strukturen. Kontexte kleineren Maßstabs, Nachbarschaften, sind dagegen von geringer Bedeutung. Das verweist die Lesbarkeit, die Deutung der Zwischenstadt auf Muster, die bei einer physischen Anwesenheit vor Ort abstrakt bleiben. Unmittelbare Eindrücke, die sinnliche Erfahrung und unmittelbare Orientierungsversuche helfen hier nicht weiter, sondern nur Informationen. Das erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte der urbanisierten Landschaften. Denn hinter der Ansiedlung von Verkehrs- und Wasserwegen, Gewerbegebieten, Produktionsstätten, Forsten und Siedlungen, technischen und sozialen Großeinheiten, vom Krankenhaus bis zum Universitätscampus stehen Zwecke, Bedürfnisse und Funktionen, die eine lange Geschichte ihrer Ausfaltung hinter sich haben. Der Anfang dieser Institutionen liegt oft in Innenstädten, die dann zu eng wurden und eine Aussiedlung vor die Stadt angezeigt sein ließen. Das hat dort zu einem vor Ort kaum entschlüsselbaren Nebeneinander höchst verschiedener Funktionen geführt. Verschiedene Agenten handelten und handeln weiter nach unterschiedlichen Agenden, mit eigenen Logiken und in einer spezifischen Eigenzeit der jeweiligen Ausdifferenzierungen ihrer Funktionen im Raum. Das Ergebnis ist, dass eine Vielfalt von Strukturen und Prozessen mit je spezifischen Entwicklungsdynamiken, mit je unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Entwicklung nebeneinander Raum einnehmen, ohne dass das Muster ihrer (An)Ordnung anschaulich wäre. Dieser Umstand erschwert und frustriert ein sinnliches Begreifen des jeweils lokal und konkret Vorgefundenen. Auch dieses nur über eine vermittelnde Abstraktion lesbare Muster der (An)Ordnung unterstützt die Nicht-Wahrnehmung der Zwischenräume. Sie erschwert eine auf Strukturen gerichtete Wahrnehmung und Erfahrung, eine Bilder suchende Wahrnehmung ohnehin. SIGNALE UND ORIENTIERUNGEN „Die diffusen Räume unserer Ballungsgebiete sind für die meisten Menschen zeichenlos. Dem ungestalteten Raum wurden keine expliziten Zeichen für seine Lesbarkeit gegeben, und die Nutzung dieser Räume ist auf den ersten Blick so bezugslos zu dem Ort, an dem sie stattfindet (Pendlertum, Schlafstädte, Baumärkte), dass auch von dieser Seite keine den Ort unverwechselbar kennzeichnenden Zeichen entstehen. Wenn überhaupt Zeichen gesehen werden, dann sind sie also austauschbar – das heißt, der Ort bleibt anonym (…).“– hat Boris Sieverts einmal geschriebenViele der potenziellen (Ziel)Orte in urbanisierten Landschaften verschließen sich der deutlichen Identifizierbarkeit von außen. Gebäude von Möbelgroßhandlungen, Shopping-Centern, Sporthallen und Diskotheken sind zwar hochspezialisiert und funktional klar differenziert, doch diese Spezialisierung ist längst nicht immer architektonisch angezeigt und allenfalls im Innenraum sinnlich erfahrbar ausgebildet: Die großen Strukturen sind innenorientiert. Ihre Funktion erschließt sich hinter der Eingangstür und zeigt sich nicht an über besondere, von außen erkennbare Merkmale. Die Auffindung und Identifizierung der Funktionen geschieht durch schnell erfassbare, äußerst knappe visuelle Verweise, durch Logos oder Icons. Die Voraussetzung der Lesbarkeit dieser Strukturen ist also nicht der spezifische Ort, die spezifische Nachbarschaft, eine spezifische Gestaltung, sondern die Wahrnehmung von Werbung in hochfrequentierten Massenmedien und Werbeprospekten oder die Auszeichnung von Funktionen auf Karten. Sie machen die Kurzinformation der Signale entschlüsselbar, deren ästhetisches und semantisches Potenzial sich ansonsten in der Orientierung auf das spezifische Ziel erschöpft. Lesbar sind nicht Individualitäten, bestimmte Territorien, Plätze, Orte und lokale Zusammenhänge, sondern über Logos und Zeichen vermittelte Funktionen oder auch die Angebote, die Marken machen können. DIE PRIVATISIERUNG DES BLICKS Diese Beschreibung einer Struktur legt den Schluss nahe, dass sich nicht nur Stadt und Landschaft in den letzten 50 Jahren verändert haben, sondern dass sich insgesamt eine in ihren Anfängen wohl gar nicht bemerkte, doch auf die Dauer übliche Art der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung der Bewohner und Bewohnerinnen wie der Durchfahrenden in Agglomerationen herausgebildet hat. Die Konsequenz für das Auge nenne ich Privatisierung des Blicks. Damit meine ich eine Reduzierung und Relativierung der Ansprüche an die Ansehnlichkeit der Umgebung, die außerhalb des als eigen verstandenen Gebiets und außerhalb der Innenräume von Freizeit-, Erlebnis- und Einkaufswelten existiert. Ihr entspricht eine, möglicherweise gar nicht freiwillige, Gleichgültigkeit angesichts der visuell erfassbaren Eigenschaften der weiteren Umgebung. Es gibt zu dieser Art des ästhetischen Rückzugs eine akustische Entsprechung, die als Privatisierung der akustischen Umwelt verstanden werden kann. Sie besteht in der Abschließung des Ohres von den umgebenden Lauten und Klängen und dem Ersatz durch eine selbst gewählte Hörumwelt. Das Radio konnte dies in einem gewissen Umfang schon leisten, deutlicher schloss der walkman die einzelnen Hörer ein, iPods optimieren die Erfahrung einer jederzeit auswechselbaren individuellen akustischen Blase. Auch eine taktile Variante dieser Entwicklung ist auszumachen, etwa in der schon erwähnten Erfahrung des Fahrens, doch auch bei anderen Bewegungsformen, für die gleich welche (Stadt-)Landschaft als vor allem haptisch erfahrener Untergrund und Widerstand für sportliche Übungen fungieren kann – beim Skaten zum Beispiel. Peter Sloterdijk hat für den räumlichen Zustand, ja für den Zustand der heutigen Gesellschaft, die eben „Gesellschaft“ infrage stellt, eine treffende Metapher entworfen, die der „Schäume“. Schäume bestehen aus Zellen, die benachbart, jedoch gegeneinander verschlossen sind: „Integrität ist nicht länger als etwas zu denken, was durch Hingabe an ein wohltätig Umhüllendes gewonnen wird, sondern nur noch als Eigenleistung eines Organismus, der aktiv für seine Abgrenzung von der Umwelt sorgt. Damit bahnt sich der Gedanke seinen Weg, dass Leben nicht so sehr durch Öffnung und Teilhabe am Ganzen bestimmt ist als vielmehr durch Selbstschließung und selektive Teilhabeverweigerung. Der größte Teil der Mitwelt ist für den Organismus Gift oder bedeutungsloser Hintergrund – daher richtet er sich in einer Zone strikt ausgewählter Dinge und Signale ein (…).“Geht es also um einen freudig gewählten Rückzug in die eigene schöne Umgebung, in die private Hörumwelt, auf den eigenen Körper, bei denen gesellschaftliche und öffentliche Ansprüche an die sinnliche Qualität der Umgebung gerne aufgegeben werden? Mit dieser Frage wird klar, dass das Nachdenken über die ästhetischen oder auch (an)ästhetischen Momente der urbanisierten Landschaften, über ihre Struktur wie ihre Wahrnehmung, nicht nur ein Gestaltungsproblem betrifft. Das Anliegen, an der (An)Ästhetik der Zwischenstadt zu arbeiten – und hier scheue ich jetzt nicht die Wörter Schönheit, Annehmlichkeit, Attraktion – erfordert eine Annäherung anderer Art. Die Analyse der Strukturen, die die Wahrnehmung der urbanisierten Landschaften bestimmen, weist ja weit über ästhetische Phänomene hinaus, auch wenn sie sich gerade durch eine Betrachtung der Möglichkeiten der sinnlichen Erfahrung gut charakterisieren lassen. Die Struktureigenschaften der urbanen Landschaften, die Abstraktheit und also konkrete Unsichtbarkeit des Ortsbezuges, die Spezialisierung von Funktionen und ihre durch am konkreten Ort unsichtbare, durch je unterschiedliche systemische Erfordernisse bestimmte räumliche Ausfaltung, die Großräumigkeit und Abhängigkeit von technisch avancierten Transportmitteln und Verkehrsnetzen sowie der gesellschaftliche Wohlstand, der die notwendige Beweglichkeit garantiert – alles das bestimmt die Möglichkeiten der sinnlichen Erfahrung der neuen Agglomerationen. An diesen Phänomenen, die ja tatsächlich vor Ort abzulesen sind, wird deutlich, dass eine eventuelle Aufwertung in ästhetischer Hinsicht es mit nichts anderem aufnimmt als mit den räumlichen Effekten des Modernisierungsprozesses, mit neuen Technologien und daraus folgenden Kommunikationsmöglichkeiten, mit neuen und sich schnell verändernden wirtschaftlichen Bedingungen. Bei allen Vorschlägen zur Veränderung der Situation ist allemal vorausgesetzt, dass Veränderungen nötig sind. Das ist keine selbstverständliche Annahme: Immerhin handelt es sich um völlig normale Alltagssituationen, über die ich hier spreche. Die Formulierung von eventuellen Zielen legitimiert sich allenfalls aus der Beschreibung von Mängeln und Restriktionen, die mit der zwischenstädtischen Organisation des Raums verbunden sind. Ich gehe davon aus, dass es solche Restriktionen gibt. Eine Restriktion in ästhetischer Hinsicht ist übergreifend: Was der gesellschaftlichen Wahrnehmung entgeht, ist kein Thema öffentlicher Verhandlungen und Aufmerksamkeit. Sich mit der Anästhetik der Zwischenstadt zufrieden zu geben, heißt, weite Tätigkeitsfelder weiter ausschließlich partikularen (privaten oder öffentlichen) Interessen zu überlassen und sie nicht zur allgemeineren Disposition zu stellen. Es hieße, die Privatisierung des Blicks als Grundlage räumlicher Gestaltungen zu akzeptieren. Ziele von Umgestaltungen sind keinesfalls selbstverständlich, sie sind auch nicht aus wissenschaftlicher Reflexion ableitbar, sondern Setzungen, für die es allerdings Argumente gibt, die mit Wünschen zu tun haben, die die Lebensgestaltung betreffen und die Ausbildung bestimmter Qualitäten in den existierenden Agglomerationen anregen. Als ein mögliches übergeordnetes Ziel (neben zum Beispiel ökologisch definierten Zielen) betrachte ich die Vermehrung von Handlungsoptionen im Alltag der verstädterten Landschaft. Das könnte geschehen durch die Unterstützung verschiedener und wählbarer Geschwindigkeiten, die Steigerung der Durchlässigkeit der räumlichen Strukturen, die Verdichtung und Vermehrung von Funktionen und damit die Steigerung der Brauchbarkeit, durch die Erhöhung der Anschlussfähigkeit und Flexibilität im Hinblick auf die infrastrukturelle Versorgung, die engagierte Gestaltung der architektonischen Elemente sowie durch Angebote zur sozialen Vernetzung durch die Unterstützung von lokalen Kommunikationsorten und -strukturen, sprich, die Stärkung der Öffentlichkeit im zwischenstädtischen Raum. Die Reihe der Ziele ist offen.