Ausstellung 2010
Konzept
Themen
Orte
KÜnstler
Programm
A40 Spezial
Texte
Schön hier?
B1|A40 Eine Stadt entwirft sich selbst
Wir fahr'n, fahr'n, fahr'n...
Kunst und Urbanität
Stop and go
Butterfahrt
Zur Ästhetik der Agglomeration
Ich bin da wo du nicht bist

Presse | Medien
Publikation
Auszeichnung

Team
Kontakt
Links
Ausstellung 2014

     

Ich bin da wo du nicht bist
Markus Ambach

Das Ruhrgebiet setzt sich aus den Zeichen und Strukturen verschiedenster historischer Entwicklungen zusammen, die sich nebeneinander, überlappend und ineinander verwoben in die Region eingeschrieben haben. Das spannungsreiche Patchwork der Einflüsse von Industrialisierung und Montanindustrie bis zum Strukturwandel muss um ein weiteres Kapitel ergänzt werden. Das Ruhrgebiet kann sich heute als eine aktualisierte Form der vernakulären Landschaft entdecken, die es versteht, sich aus sich selbst heraus auch mit langfristigen, dezentral organisierten Perspektiven auszustatten. Wenn die Region erkennt, dass ihre Potenziale neben den gut ausgebildeten Zentrumslagen im subtil modulierten und dezentral flachen Gelände der urbanen Netzwerke und Zwischenräume liegen, in der filigranen Variation von Sichtbarkeiten und Schattenlagen, in der kontrastierten Nachbarschaft urban hoch verdichteter Sequenzen, die von feinen Spuren urbaner Landwirtschaft und wilden Naturräumen bis in das Zentrum der Städte durchzogen werden, hat die Region die Kapazität, zum globalokalen Beispiel einer neuen Stadtlandschaft zu werden. Wenn sie sich als facettenreiche Modulation heterogenster Stimmungslagen von Zentrum bis Peripherie, von Naturraum zur Industrielandschaft, von Kultur zu Subkultur entlang divergierender Themen, Typologien und Lebensentwürfe konzipiert, als ein flächenorientiertes „Subjekt Stadt“, dass sich in einer multiplen Trägerschaft selbst generiert, weist die Region unvermittelt und direkt weit in die Zukunft. Dass diese Wende eben gerade in den durch einschneidende Eingriffe und monumentale historische Ereignisse zerfaserten Landschaften möglich ist, hat B1|A40 gezeigt. Denn hier in der Region entwirft sich vor dem Hintergrund der latenten Zerstörungen ein Stadtraum, der die Voraussetzungen für eine solche Umwälzung schon in sich trägt: in den heterogenen Strukturen und zerrissenen Sequenzen, in den Narben und Falten, die sich zwischen Verkehr und Wohnen, zwischen Geschwindigkeit und Ort, zwischen Global und Lokal, zwischen Aktualisierung und Historie aufwerfen. B1|A40 hat gezeigt, wie die große Straße in einer einmaligen Wendung, einer plötzlichen Umkehrung vom problematischen Verkehrsraum zum Boulevard der Ruhrmetropole werden konnte, auf dem eine Million Menschen zusammenkommen, um das erste Mal das oft drückende Klischee des Kohlenpotts offiziell abzustreifen und der Welt zu zeigen, dass man sich längst neu erfunden hat. Diese Umkehrung ist für die ganze Region beispielhaft und möglich – plötzlich, unvermittelt und direkt. Am Tag auf der A40 hat sich die dezentrale wie vernakuläre, in der Praxis der Menschen veranlagte Kapazität der Region ein offizielles Bild gegeben. In ihr liegt die Möglichkeit der genannten Umkehrung wie ein Myzel im Boden der Ruhrlandschaft, das seine Blüten unter bestimmten Bedingungen austreibt. Dazu ist ein Perspektivwechsel notwendig, der in konstruktiv- kritischer Diskussion mit den bestehenden Wertesystemen eine dynamische Kultur der Praxis befördert und anerkennt. Auf Grundlage bestehender Kontrastpaare und Widerlager, Diskontinuitäten und Multiplizitäten kann sie ein Maximum an Diversität kultivieren. die den Weg in eine dynamische, dezentral organisierte Stadtlandschaft ebnet. Es ist wichtig zu erkennen, dass da, wo die Monumente so oft zerschlagen wurden, die Zukunft im vielschichtigen Handeln der Menschen liegt. Die Strukturen sind da und die Menschen bereit. Auch wenn die Kohle und ihre politischen Implikationen für viele eine wichtige Vergangenheit darstellt – sie ist für alle vorbei. Wo die Menschen in zahlreichen Resträumen, Brachen und Hinterhöfen die Zukunft nicht nur proben, sondern längst im Griff haben, liegt sie in der Verknüpfung der Qualitäten und Techniken eines aktualisierten Begriffs des Vernakulären mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Perspektiven. DIE EMANZIPATION DES ORTES Dazu ist es notwendig, von staatspolitischer Seite denen mehr Aufmerksamkeit, Gehör und Einfluss zu schenken, die unsichtbar in den endlosen Resträumen des Reviers recht produktiv agieren. Denn sie werden von den Netzwerken und „Community“- Systematiken nur ungenügend erkannt. Susanne Hauser hat in ihrem Beitrag eindringlich gezeigt, wie auch die Netzwerkmetapher zu hinken beginnt und ihre überstrapazierte Symbolik das ausschließt, was zwischen den Netzwerken, Systemen und Strukturen liegt. Der entschleunigte Rest neben den Zentren und Peripherien, den Highspeed- Korridoren, den Datenautobahnen und Infoportalen sucht bald nicht mehr den Anschluss. Er verbündet sich aktuell mit dem Ort, der über Jahrzehnte samt Inhalt zugunsten der Netze und Systeme diffamiert wurde: als national im Habitus und exklusiv im Inhalt. Der besagte Rest besorgt die Emanzipation des Ortes als Ort der reinen Praxis, der den Wert der Scholle negiert und ihn als global wie lokal durchdringbaren Handlungsraum mit sinnlicher Qualität parallel zur Virtualität der Netze und Systeme neu entwirft. Er organisiert sich in den Praktiken dessen, was vernakulär genannt wurde und vielleicht superpoststrukturalistisch ist: nämlich in der reinen, immer aktuellen Praxis, im steten Gebrauch der Dinge und nicht in ihrem akkumulierten Wert und seinen Monumenten. Dabei wird der Ort nicht zum ökonomischen Wertereservoir einer produzierenden Praxis, sondern zum Ort des Geschehens einer handelnden. Er wird zum Zentrum eines Wandels vom Ort als Besitz zum Ort des reinen, selbst verantworteten Gebrauchs. Die Gesellschaft sollte heute anerkennen, dass nicht nur die sichtbaren Zeichen, Werke und Bauten einer Kultur als historisch, relevant und zukunftsträchtig anzuerkennen sind, sondern gerade ihre sich nur in der kontinuierlichen Ausübung vergegenwärtigenden Praktiken und Handlungen – ganz unabhängig von ihren Produkten. Die Ökonomie der Vergegenständlichung kann nicht für eine Landschaft gelten, der wir den Zwang einer permanenten Neugestaltung auferlegen. So muss die Gesellschaft der Praxis an sich und ihren Landschaften als Form in der Anerkennung ihrer Bedeutung und Kontinuität das verleihen, was Brinckerhoff Jackson zukünftiges historisches Bewusstsein nennt. WHO CARES? ODER: ICH BIN DA WO DU NICHT BIST Sonst verstärkt sich das, was sich schon hier und da abzeichnet. Der Graben zwischen Politik und Bevölkerung vergrößert sich mancherorts exponentiell. Das vehemente Desinteresse kann nicht mehr als Politikverdrossenheit bezeichnet werden, sondern markiert eine klare und bewusste Abwendung. Ob im Ruhrgebiet in der täglichen Unterwanderung zentrumspolitischer Hierarchien durch die Bevölkerung oder bei Stuttgart 21: das aktive Desinteresse an der Staatspolitik markiert einen Wendepunkt in der politischen Haltung. Denn im Sinne der vernakulären Landschaft ist das Desinteresse keine Achtlosigkeit, sondern operierende Strategie. Es drückt eine gewollte Beziehungslosigkeit zu dem aus, der einem kaum Perspektiven lässt, wie eine gleichzeitige Hinwendung zu eigenen Strategien, Handlungen und Politiken. Die Protagonisten dieser neuen räumlichen wie politischen Landschaft gehen einfach ihren eigenen Weg. So kann man schon längst von zwei, wenn nicht mehreren Politiken sprechen, die sich parallel zueinander im selben Raum etabliert haben. Es hat sich längst ein Subsystem entwickelt, das gleichzeitig zur potenziellen Virtualisierung der Märkte, der Werte, der Politik und der Administration in der Realität der Orte seine eigene, faktische Welt begründet hat. Sie deutet auf einen aktuellen Wertewandel, auf eine Aufspaltung und Verteilung der Interessen nach virtuellen und realen Räumen, nach Repräsentation und Sein, nach abstrakten Werten und solchen des Gebrauchs, die schon heute ein polypolitisches Feld begründen, das sich in Zukunft spezifizieren wird. KUNST IM KONTEXT B1|A40 hat neue Maßstäbe in der Verknüpfung von Kunst und Kontext gesetzt. Nicht nur die Künstler, auch die 28.000 Besucher und der große Teil der Bevölkerung, die den Spuren von B1|A40 folgten, haben gesehen, welch vitaler und mit Selbstverantwortung organisierter Raum sich entlang der großen Straße entwickelt hat. Sie haben gesehen, mit welchem Einfallsreichtum sich die Menschen mit den widrigen Umständen arrangiert haben, mit denen sie sich von der Politik oft alleine gelassen fühlen. Sie konnten sehen, wie sich unter diesen Bedingungen nicht Hilflosigkeit, sondern Autonomie und Selbstverwaltung breit machen, die die Legitimation politischer Macht subtil hinterfragt. Die Besucher haben gesehen, welches Potenzial in den Räumen liegt, die sich im Sinne der „Brache“ jenseits der großen Sichtbarkeiten regenerieren, um als agile Sozialbiotope neue Wege in eine komplexe, handlungsfähige Stadtlandschaft der Zukunft zu zeigen. Dass autoproduktive Räume jenseits hierarchischer Stadtstrukturen von einer spannungsreichen Heterogenität geprägt sind, die man im überregulierten Zentrum der Metropolen schmerzlich vermisst. Sie konnten sehen, wie solche Orte soziokulturelle Artenreservoirs bilden, die alternative Lebensentwürfe bereithalten, diskutieren und als plausible Alternativen anbieten. EIN AUFTRAG B1|A40 hat diesen Räumen eine Sprache verliehen. Ihre nun lesbaren Strategien als Handlungsanweisungen zu verstehen, sie in städtischen Generierungsprozessen zur Grundlage neuer Stadträume zu machen und einen sensiblen Umgang mit diesen urbanen Labors zu pflegen, ist ausgesprochene Empfehlung an uns, an Planung und Stadtentwicklung. Die Notwendigkeit, Heterogenität als aktives Agens einer vitalen Urbanität zu begreifen, die auf Selbstverantwortung und Handlungsinitiative setzt, steht ganz groß im Subtext. Nachbarschaften riskieren, Kontraste sensibel umnutzen, den eigenen Leuten vor Ort vertrauen – auch dies steht auf der Agenda. Statt der Ökonomie des steten Ab- und Aufbauens sollten wir erst hören, was der Kontext empfiehlt. Die patriarchale Form der Geschichtskorrektur durch die Eliminierung des Vorgängigen wirkt antiquiert und herrscherisch. Sie entspricht weder der Wahrheit der Orte noch der der Geschichte. Die Zukunft organisiert sich im Diskurs der Dekaden, in der Nachbarschaft mannigfaltig gebrochener Perspektiven, die sich in der Landschaft aufzeichnen. Die Orte lesen, das Vorhandene sehen, die kaleidoskopische Perspektivität akzeptieren – vom Landschaftspark im Brachland lernen, den informellen Strategien der Anwohner folgen oder dem Subtext des Gartenidylls lauschen. Es ist alles schon da und mit wenigen Operationen auch sichtbar, nutzbar und produktiv. Wer nicht vor die Tür geht, disqualifiziert sich von selbst. Sehen lernen ist ein stetig wiederholter, elementarer Auftrag an alle, der endlich ernst genommen werden und die Diskussionsforen verlassen muss, um zur Basis der realen Arbeit vor Ort zu werden. Künstler und Anwohner gehören dazu ins Kompetenzteam der neuen Ruhrmetropole. Als Fachspezialisten sind sie so oder so aktiv, in tragenden Funktionen oder autonomem Handeln, als Partner auf Augenhöhe oder als kritische Aktivisten. Wir sollten ihre Angebote nicht leichtfertig ausschlagen. SPAZIEREN Der genaue Beobachter konnte feststellen, wie ungenau der eigene Blick auf Dinge sein kann, die uns doch so bekannt erscheinen. Dass Schrebergärten internationale Communities sind, dass Tuner einen intelligenten Humor pflegen, dass Fischhändler Welten entwerfen und die Dörfer kleine Revoluzzer verbergen, markiert nur die Spitzen der Eisberge in den Untiefen unserer eigenen Leichtfertigkeit im Umgang mit Stadt. Die Schule der Stadt, das Spazieren im Spatium jenseits der eigenen Vorstellungswelt, dem Fremden dann und wann unvoreingenommen zu folgen, sollte zur täglichen Praxis eines jeden gehören, der Stadt mitbestimmt. SOZIALE KOMPETENZ Man könnte dabei entdecken, dass die Homogenisierung von Stadtraum ein oft unnötiges Unterfangen ist, das die Sortierung von Stadträumen und ihrer Bewohner nach sozialen und ökonomischen Milieus vorantreibt. Die Organisation von Stadt und Mensch in den sozial aseptischen Teilräumen der „Gated Communities“, deren Bewohner kaum mehr mit anderen Lebensrealitäten konfrontiert werden, bedingt eine soziale Verarmung der Gesellschaft, die sich keiner wünschen kann. Dagegen entwickeln die Menschen in Eigenverantwortung komplexe Strukturen der Selbstverwaltung. Unter den Bedingungen reduzierter politisch-administrativer Kontrolle entstehen Orte, an denen durch das Tagesgeschäft „Konfliktbewältigung“ die soziale Kompetenz eine erstaunliche Renaissance erfährt. In Gesprächen mit den Anwohnern konnten die Besucher erfahren, dass Selbstbestimmung und eigenverantwortliches Handeln ein Gut ist, das man behaupten und aktiv leben muss. Die direkte Aktion kommt dabei einer Selbstermächtigung gleich, die Selbstvertrauen und Autonomie produziert, bei der das latente Umgehen der gesetzlichen Ordnung nicht zwangsläufig zu Chaos führt. Es entstehen städtische Räume als charmant-innovative Konglomerate aus Bürgertum und Alltagsanarchismus, die sich als selbst verantwortete Rückaneignung von städtischem Raum erweisen. DIE VERARMTE STADT Wenn wir diese Räume überschreiben, so ist das nicht ihr Schaden, sondern unserer. Denn sie entwerfen sich ohnehin immer wieder da, wo schon Stadt und noch nicht Zentrum ist, auf den sich stets ergebenden Restflächen geplanter Ungenauigkeit, im angenehmen Zwielicht zwischen Perfektion und schönem Scheitern. Die Tuner ziehen einfach weiter, wenn jemand ihren Ort überschreibt und tauchen irgendwo wieder auf, an einem anderen Ort, für einen Moment und eine Weile, plötzlich, unvermittelt und gewagt. Besagte Räume sind nomadisch wie das virulente Straßenbegleitgrün, das mit Masse und Klasse noch jedem Bändigungsversuch widerstanden hat und immer dazwischen den Fahrbahnen hochschießt, wo noch nicht Pflaster und immer noch Strand ist. Was zu bedauern ist, sind unsere Städte, die in Folge verarmen. Statt der heterogenen Komplexität einer divergierenden Stadtlandschaft entwerfen sich ohne diese Räume spannungslose Stadtkörper prognostizierbarer Eintönigkeit. Die Stadt als Großstadtdschungel verwandelt sich in lethargische Wüsten des ewig Gleichen. Statt der Fluktuation der Subkultur zieht der nächste Supermarkt ein und verschattet den Ort mit kleinen Preisen. Statt der komplexen Landschaft zwischen Autobahn und Landschaftspark vergiftet vielleicht ein Autohof mit Casino das labile Gleichgewicht im Biotop Kaiserberg, wenn man ihn an der falschen Stelle platziert. Während die zähen Protagonisten der vernakulären Landschaft weiterziehen, verwaisen unsere Städte. Die Tuner sind im Winter in Mülheim, wo im RRZ ein kostenloses Parkhaus lockt. Vielleicht trifft man sich ja im Sommer dann oben auf dem Parkdeck. Wir können uns entscheiden, in welcher Stadt wir leben wollen … Vielleicht sollten wir erkennen, dass das Zulassen selbstbestimmten Handelns dem spezifischen Raum entlang der Autobahn entspricht und modellhafte, übertragbare Formen auch für andere Stadträume entwickeln kann. Vielleicht sollten wir die Potenziale erkennen, die in den ins Private, ins Unsichtbare, ins Marginale abgedrängten sozialen Ressourcen liegen. Das Freisetzen von Räumen an den Rändern der Gesetzeslagen kann als Chance gesehen werden, die soziale Kompetenzbildung ermöglicht und Selbstverantwortung produziert – für das Eigene, die Stadt und den Anderen. Der Rat an uns ist, Räume zu schaffen, die sich emanzipieren können – frei, aus sich selbst heraus, autoproduktiv. Und Räume zu schützen, die diese Kompetenzen bereits haben, anstatt sie vorschnell ökonomischen Interessen zu opfern. Denn sie sind die Reservoirs des Unerwarteten, Undenkbaren wie gleichwohl Möglichen. Sie sind Räume jenseits des Kalküls, die sich dem Zugriff bewusster Planung verschließen, aber im Zwischenraum zwischen den Orten die Zukunft der Stadt generieren. AUFMERKSAMKEIT Dass sich die Erkenntnisse von „B1|A40 Die Schönheit der großen Straße“ so gut in Stadtraum und Kulturhauptstadt, im Kunstkontext und Stadtentwicklungsdiskurs konstituieren und weit mehr als die erwartete Wirkung entfalten konnten, verdankt sich nicht nur der konsequenten Verankerung im Kontext der Stadt, sondern ganz besonders den Bewohnern dieses Raumes. Das Pojekt hat mit ihnen zusammen für das breite internationale wie lokale Publikum, für Fachleute wie Passanten einen neuen Blick auf den Stadtraum A40 geöffnet, an dem sich zukünftige Planungen messen lassen. Wie das Versprechen, die Ergebnisse des Kunstprojekts in die zukünftigen stadtplanerischen Vorhaben konkret mit einzubinden, umgesetzt werden kann, wird zu diskutieren sein. Die künstlerischen Interventionen haben mit den Anwohnern schon jetzt ein neues wie kritisches Wirkungsverhältnis für das eigene Lebensumfeld und dessen soziale, politische wie räumliche Gestaltung begründet. Sie haben eine erlebte wie tief empfundene Wende in Gang gesetzt, die durch eine erhöhte Aufmerksamkeit und Handlungsbereitschaft geprägt ist und fortan die Entwicklungen im Stadtraum A40 begleiten wird. EINE KURZE PASSAGE ÜBER DIE LIEBE Künstler und Anwohner haben bei B1|A40 gezeigt, dass die Kommunikation zwischen ihnen stimmt. Die prognostizierten Verständigungsschwierigkeiten zwischen Kunst, Ruhr und Stadt scheinen in der Perspektive des Projektes eine Chimäre zu sein. Gerade im Ruhrgebiet ist das Zusammentreffen von Kunst und Kontext normal-natürlich verlaufen. In einem allgegenwärtigen, direkten und ehrlichen, interessierten und engagierten Zulassen, Mitmachen und Mitbestimmen drückt sich die endlose Offenheit der Bewohner aus, sich auf Neues und Unbekanntes einzulassen, ob nun Kunst oder nicht. Vielleicht bleiben die aseptischen White Cubes hier Fremde, wo jeder noch ein bisschen Erde vom Wühlen im eigenen Lebensentwurf unter den Nägeln hat. Vielleicht befremden die Aufwertungsinstitutionen der Kunst die Leute hier stärker und schaffen Abstand, wo eigentlich keiner ist. Wo Selbstbewusstsein in der unendlichen Liebe zur Improvisation, zum steten Erfinden und Arbeiten am eigenen Lebensumfeld fußt, entsteht ein Verständnis von Macher zu Macher am besten im direkten Körperkontakt. So hat sich die Nachbarschaft von Künstlern und Ort als wunderbares Verhältnis geprägt von Neugier, Interesse und Respekt entwickelt, das zu subtilen Verquickungen zwischen beiden führte. Die Anwohner waren von Anfang an Partner auf Augenhöhe. Entgegen einer Musealisierung des öffentlichen Raums fügten die Künstler ihre Projekte bei B1|A40 symbiotisch wie differenzierend mit ihrem Kontext zusammen. Ein Großteil der Programme entstand darüber hinaus direkt in der Ausstellungsphase aus der „Daily Practice“, aus dem steten Miteinander von Kunst, Künstlern und Menschen vor Ort. Dass die Treffen dabei nicht nur von trockenen Diskursen geprägt waren, hat das Projekt zu einem genussreich- faszinierenden, manchmal magischen Ereignis jenseits der eigenen Vorstellungskraft gemacht. Ob im Odorama der Driftshow mit Lavendelnebel, ob kulinarisch an den Seen von Herrn Braun, ob subkulturell zwischen den Boliden der Tuningszene oder versüßt mit dem Honig von Finger platzierte sich die Ausstellung konkret zwischen Diskurs und ästhetischer Multidimensionalität. Nach der Überschreitung des Wendepunkts zwischen Theorie und Praxis, beim Eintritt in den realen Raum Ruhr entwickelten sich die Verhältnisse wie von selbst und autoproduktiv entlang der Bedingungen des Raumes. Genau das macht Kunst und Ruhr und Stadt zu perfekten Partnern, Komplizen und Sympathisanten auf Augenhöhe, wenn sie sich vor Ort im Stadtraum treffen. Der größte Respekt und Dank gilt deshalb den Leuten vor Ort, beidenen wir immer willkommen waren. Ihr Tun und Handeln zeugt von erstaunlichem Selbstbewusstsein, das in den eigenen Taten ein sympathisch zurückhaltendes, unscheinbares wie solides Fundament hat. Dass den Leuten an der Ruhr die Souveränität, der Humor und eine gehörige Portion Selbstironie diese Offenheit gegenüber dem Fremden verleiht, hier, wo alles immer neu, vermischt und selbstgemacht ist, macht die Region zu menem Favoriten. B1|A40 geht weiter. Nicht nur in den zahlreichen Projekten, in denen es schon jetztgleich besagtem Begleitgrün unter dem Pflaster seine Wurzeln verzweigt. Es wird wie der Raum autoproduktiv weiterentwickelt, ob von den Künstlern in neuen Engagements, den Anwohnern in neuen Partnerschaften oder allen zusammen in neuen Allianzen, die den Stadtraum A40 aktuell verändern. Es wird in den internationalen Diskurs der Stadtentwicklung getragen, in die Diskussionen um Kunst und öffentliche Räume und mit dem Seat Arosa – der „Schönheit der großen Straße“ – selbst auf die Essener Motorshow. Das Projekt hat den Stadtraum verändert, aktiv, virulent und in einer hartnäckigen Selbstbehauptung, die dem Subtext dieses Stadtraums entspringt.