ZUM VERHÄLTNIS VON KUNST, VERMITTLUNG UND STÄDTISCHER ÖFFENTLICHKEIT Die kompromisslose Zusammenlegung von Kunst und öffentlichem Raum an den Orten der Ausstellung zeigt, dass die prognostizierten Verständigungsprobleme zwischen Kunst und Alltagskultur mehr ein Märchen sind. Im direkten Körperkontakt von Stadt und Kunst stellt sich kaum die Notwendigkeit von Vermittlung ein. Vorausgesetzt werden muss eine konzentriert- engagierte Vorbereitung, für die oft jene Zeit fehlt, die man sich nehmen muss. Sie ist zwingend notwendig, um den Respekt vor dem Kontext zu wahren, in dem man oft als ungebetener Gast auftaucht. Da, wo das direkte Gespräch zwischen Künstlern, die eine von Respekt geprägte Leidenschaft für das Arbeiten im städtischen Kontext mitbringen, und den Protagonisten vor Ort die Basis einer nicht erzwungenen gemeinsamen Arbeit stellen, wird der Vermittlungsanspruch leicht zum trennenden Selbstzweck. Die Zwischenschaltung von Institution und Kunstvermittlung erschwert im Stadtraum den Verständniszugang durch die im Grunde gut gemeinte Aufwertung der Kunst zu einem erhabenen Kulturgut. Der konstatierte Abstand von Kunst und Leben, der unter anderem auch der Verlängerung der Wertschöpfungskette dient und den Einfluss der musealen Kulturverwaltungen auf das Verhältnis von Kunst und Stadt sichert, wird vor dem Hintergrund von B1|A40 neu zu diskutieren sein. Denn das Projekt zeigt, wie sich im direkten Handeln der Akteure vor Ort ein der städtischen Realität entsprechendes Szenario entwickelt, in dem Kunst und Gesellschaft unvermittelt ihre Beziehungen bestimmen – ob in Konfrontation, ungeahnter Sympathie oder ungezwungener Nachbarschaft auf Augenhöhe. UNVERMITTELT Kunst im öffentlichen Raum kämpft darüber hinaus weniger mit Vermittlungsproblemen an die Anlieger der jeweils genutzten Stadträume, sondern eher mit denen des ortsfremden Kunst- und Kulturpublikums. Das Erkennen solcher Arbeiten, die sich subtil mit ihrem Kontext verbünden, um die Grenze zwischen Kunst und Stadt fließend zu machen, fällt dem lokalen Publikum leichter als der Fachklientel. Denn die Anwohner sind perfide Kenner ihres Umfelds und identifizieren mühelos jede Veränderung in ihm. Dass die sonst nie vermietete Werbefläche vor dem eigenen Haus plötzlich mit einer Fotografie bespielt wird, die zudem nur für sich selbst wirbt, dürfte dem Anwohner sofort ins Auge fallen, während der Kunstfreund leicht hilflos durch den Stadtraum irrt. Kunst im Kontext hat vor diesem Hintergrund zunächst ein klares Zielpublikum in den Menschen vor Ort. Der Passant im Rhein-Ruhr Zentrum, die Bürger von Werthacker, der Tuner vom Dückerweg, die Gärtner gegenüber, die Pendler auf der A40 – sie alle finden, ohne zu suchen. In der Veränderung des eigenen Umfelds, in der unklaren Zuordnung, in der latenten Ununterscheidbarkeit, in der unvermittelten Nachbarschaft oder Konfrontation entsteht ein nahezu natürliches Verhältnis des Gesprächs mit offenem Ausgang. Wenn Kunst die Musealisierung des öffentlichen Raums bewusst umgeht, ist ihr Wirkungsgrad immens – das Ziel einer Kunst im Kontext, die ihr Publikum nicht sucht, sondern immer nur findet.DA WEISS MAN, WAS MAN HAT Wo dem Kunstfreund die Ausweisung der Werke Erleichterung verschafft, wirkt sie auf manche Arbeiten kontraproduktiv. Viele Projekte arbeiten eben gerade an der subtilen Schnittstelle der Ununterscheidbarkeit, die es zu schützen gilt. Die klare Zuordnung zum Feld der Kunst verleiht Besuchern und Anliegern zudem ein Gefühl der Sicherheit, das die aktive Auseinandersetzung mit dem Fremden unterbricht. Da weiß man, was man hat. Das Fehlen von Information erzeugt dagegen eine produktive Unruhe. Es aktiviert die Aufmerksamkeit für Kunst und Stadt. Fragen nach den Ökonomien der Wahrnehmung tauchen im Subtext der Arbeiten auf. Wie befrieden Zuordnungen die Situation? Enden sie in einer entschärften Narrenfreiheit der Kunst? Welche Rolle spielt Information und wie steuert sie unsere Wahrnehmung? Der differenzierte Umgang mit Information wird dabei zum Thema. Seit geraumer Zeit setzt sich Kunstvermittlung durch Begleittexte und Erläuterungen massiv in Szene. Ohne nachzudenken, begibt sich der Museumsgast unter den Kopfhörer. Im isolierten Klangraum der „Guided Tour“ folgt er den Anweisungen des virtuellen Führers, um sich kommod mit den Aussagen des Werks vertraut zu machen. Die eigene Einschätzung bleibt meist auf der Strecke. Wo früher ein Namensschild hing, prangt heute ein mehrseitiger Text. Die Ambivalenz der Werke verschwindet im Fluss gezielter Vermittlung, die Meinung schon macht, bevor sie entstehen kann. Dass eine Arbeit wie „Auslaufendes Rot“ von Christoph Schäfer unvermittelt im Stadtraum auftaucht, erhöht nicht nur ihre Durchschlagskraft. Das Unbezeichnete setzte die Diskussion im Quartier in Gang. Dekoration? Citymarketing? Fußball? Oder Kommentar zu der Geschichte, die hier die meisten kennen? Es wurde viel diskutiert, bevor einer auf die Kulturhauptstadt kam. Über Rot-Weiß, über das Denkmal, die eigene Geschichte, über das Quartier, über die Schönheit der Farben, die Politik der Fahnen und Zeichen und über die nervöse Frage „Bleibt das für immer?“ Bis einer in der Zeitung schrieb „Warum die roten Fahnen wehen“. Das große „Ach so“ war für viele beruhigend, für andere aufschlussreich anregend und half fast, zur Tagesordnung überzugehen. Doch eben nur fast, denn die politische Aussage der Arbeit, die im selben Artikel angerissen wurde, löste die zweite Welle der Diskussion aus, die heute noch rollt. B1|A40 war sparsam mit den großen Tafeln, um diese Momente zu nutzen. Wo die Infos und Logos den Mehrwert für die individuellen Ökonomien von Künstlern und Kuratoren, Städten und Instituten befördern, öffnet ihr Fehlen die Diskussion und politische Wirkung der Kunst auf die Stadt. Die Menschen vor Ort begegnen ihr einfach: unvermittelt und neu im eigenen Umfeld, gut getarnt und kaum unterscheidbar im Rückspiegel oder nahegebracht durch ihre Macher im Gespräch, im Motel, im Kino. Sie werden sich um deren Einordnung bemühen müssen wie die Künstler um die Stadt. Ein Prozess, der die eigene Vorstellungskraft auf die Probe und die Realität der eigenen Welt unter Fragen stellt – ein Diskurs ohne Worte, die Sprache der Bilder, der Situationen und Nachbarschaften.DIE BUTTERFAHRT ALS CHANCE Doch wo bleibt das Fachpublikum? Auf einer ewigen Schnitzeljagd durchforstet es weiter den Stadtraum – eine undankbare Aufgabe für ein dankbares Publikum. Wo die Ausweisung der Werke zugunsten ihres Wirkungsgrades fehlt, bleibt es auf der Strecke. Und nicht überall macht ein Wanderweg als Infrastruktur Sinn wie im Kreuz Kaiserberg. Was tun? Neben Kartenmaterial und Kurzführer, das den Pionier des Kunstgeschäfts auf einen unsicher-spannenden Landschaftsparcours schickt, auf dem er in unfreiwilliger „Derive“ oft noch Interessanteres entdeckt als die Werke, hilft vielleicht die Butterfahrt. Wo der Weg schwer und die Zeit knapp ist, bietet sich die Führung als ein Mittel an, bei dem man sich selbst zu Hause lässt und kurz mal dem Anderen folgt. Die viel zitierte Spur des Fremden in Form einer Bustour zu verkaufen, bei der man neben den Orten, deren Entdeckung den Projektautor selbst Jahre gekostet hat, auch die kulinarischen Köstlichkeiten der Region nebst Nachbarschaft serviert bekommt, scheint gewagt. Aber im Konflikt zwischen der subtil-symbiotischen Einschreibung der Kunst in den städtischen Kontext und ihrer musealen Ausweisung in einer totplakatierten Belanglosigkeit wird die Fahrt zur Möglichkeit für den, der harte Fakten in kurzer Zeit sucht. Im Gegensatz zum kopfhörenden Museumsautisten erweitert das Gespräch mit den Tournachbarn und die Diskussion bei Fisch oder Kuchen mit Künstlern und Anliegern die Perspektive der vorgetragenen Meinung. Und der Kunst bleibt die nachträgliche Musealisierung erspart. Das sichert ihre Existenz im Stadtraum als ambivalent-offene Herausforderung, die diesen wie uns eindringlich befragt.